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17.11.25

Webinar des Grenspost Düsseldorf beleuchtet Ausgang der niederländischen Parlamentswahlen

Wie ist das niederländische politische System aufgebaut und wie lassen sich die Ergebnisse der jüngsten Parlamentswahlen vom 29. Oktober deuten? Als Service für die deutschen Kolleginnen und Kollegen organisierte die Grenspost Düsseldorf am Donnerstag, dem 6. November, ein informatives Webinar für etwa dreißig Interessierte, in dem diese Fragestellungen behandelt wurden.

Wie funktioniert das niederländische Parlament?

Die Niederlande haben ein Zweikammersystem, das gemeinsam als Staten-Generaal bezeichnet wird. Die Eerste Kamer zählt 75 Mitglieder, die indirekt von den Mitgliedern der Provinzialparlamente, der Provinciale Staten, gewählt werden. Die Tweede Kamer besteht aus 150 Abgeordneten, die direkt von den Bürgerinnen und Bürgern gewählt werden. Gesetze – also auch die Haushaltsgesetze – müssen von beiden Kammern verabschiedet werden. Während die Tweede Kamer die Möglichkeit hat, Gesetzesvorschläge zu ändern (durch sogenannte Amendementen), kann die Eerste Kamer ein vorgeschlagenes Gesetz nur annehmen oder ablehnen. Die Regierung muss also in beiden Kammern Mehrheiten für die vorgelegten Vorschläge suchen.

Das konservativ-rechte Kabinett Schoof

Nach den Wahlen von 2023 trat das Kabinett Schoof unter Leitung des parteilosen Premierministers Dick Schoof sein Amt an. Dieses Kabinett bestand aus der Partij voor de Vrijheid (PVV) unter Führung von Geert Wilders, der Volkspartij voor Vrijheid en Democratie (VVD) unter Dilan Yeşilgöz, dem Nieuw Sociaal Contract (NSC) unter Pieter Omtzigt und der BoerBurgerBeweging (BBB) unter Caroline van der Plas. In der Grundsatzvereinbarung dieses inzwischen zurückgetretenen Kabinetts standen unter anderem die folgenden Punkte: 
•    Steuersenkungen für mittlere Einkommen und Unternehmer
•    ein strenges Asyl- und Migrationsregime mit schärferen Grenzkontrollen und Unterbringung in der Region
•    Impulse für Wohnungsbau, Infrastruktur, Erreichbarkeit und Energiewende 
•    Halbierung des Eigenanteils in der Krankenversicherung und Investitionen in die Altenpflege
•    ein neues Wahlrecht und die Einrichtung einer Art Verfassungsgericht
•    mehr Mitspracherecht für Landwirte und Fischer und weniger Vorschriften – „der Bauer ist wieder Herr auf seinem eigenen Hof“
•    ein hartes Vorgehen gegen Kriminalität und Terrorismus

Das Kabinett präsentierte sich als pragmatisch und ausführend, doch die Unterschiede zwischen den vier Koalitionsparteien erwiesen sich bald als zu groß, um tatsächlich größere Veränderungen umzusetzen.

Der Fall des Kabinetts

Das Kabinett Schoof stürzte am 3. Juni 2025 nach 366 Tagen schließlich über einen Konflikt rund um den von PVV-Chef Geert Wilders eingebrachten Zehn-Punkte-Plan zur Asylgesetzgebung. Wilders forderte darin unter anderem einen vorübergehenden Stopp der Familienzusammenführung, wollte anerkannte Flüchtlinge aus den Asylzentren ausweisen und die Grenzen für Asylsuchende schließen. Er verlangte, dass Dilan Yeşilgöz (VVD), Nicolien van Vroonhoven (NSC) und Caroline van der Plas (BBB) ihre Unterschrift unter acht der zehn von ihm gewünschten Maßnahmen setzen. Sie weigerten sich, waren aber bereit, Wilders teilweise entgegenzukommen. Daraufhin beendete Geert Wilders die Koalition – das Scheitern des Kabinetts Schoof war damit eine Tatsache. Nachdem der geschäftsführende Außenminister Caspar Veldkamp im Kabinett nicht genügend Unterstützung für von ihm gewünschte Maßnahmen gegen Israel im Zusammenhang mit dem Gaza-Krieg fand, trat er am 22. August 2025 mit sofortiger Wirkung zurück. Die übrigen NSC-Minister folgten seinem Schritt. Das geschäftsführende Kabinett besteht daher derzeit nur noch aus VVD und BBB und stützt sich nur auf eine kleine Minderheit in beiden Kammern.

Wahlkampf 2025

Der Wahlkampf von 2025 drehte sich vor allem um konkrete, greifbare Themen, die unmittelbar das tägliche Leben der Niederländer betreffen – etwa den Wohnungsbau, angesichts des anhaltenden Mangels an bezahlbaren Wohnungen. Daneben spielte die Diskussion über Verteidigung und Gesundheitswesen eine große Rolle: Wohin soll das Geld fließen – in die Streitkräfte oder in die Pflege? Auch die Migrations- und Asylpolitik war ein zentrales Thema, ebenso wie die Stickstoffproblematik und die Stellung der Landwirtschaft. Zudem standen auch die Klima- und Energiewende weit oben auf der Agenda. 

Demgegenüber gab es Themen, die dieses Mal auffallend wenig Aufmerksamkeit erhielten. Die Kindergeld-Affäre, einst ein Symbolfall staatlichen Versagens und ein wichtiges Kernanliegen des NSC, kam kaum noch zur Sprache. Auch Themen wie Umwelt im weiteren Sinne, Mobilität, Bildung, Arbeitsmarkt und die Folgen der Gasförderung in Groningen rückten weitgehend in den Hintergrund.

Um einen Vergleich der Wahlprogramme zu ermöglichen und zu zeigen, dass es sich um realistische Vorschläge handelt, lassen einige Parteien in den Niederlanden ihre Programme vom Zentralen Planungsbüro (CPB) durchrechnen. Eine etwas kleinere Anzahl von Parteien lässt zusätzlich das Planungsbüro für die Umwelt ihre Programme prüfen. Aus diesen Analysen lässt sich ableiten, dass es in den Niederlanden durchaus zwischen sehr unterschiedlichen Ansätzen zu wählen galt.

D66 gewinnt die Wahlen

Am 29. Oktober gingen die Niederländerinnen und Niederländer zur Wahlurne, um ihre Stimme für eine der insgesamt 27 Parteien abzugeben. Die progressive, sozialliberale Partei D66 unter der Führung von Rob Jetten ging nach einem Kopf-an-Kopf-Rennen mit der PVV als Siegerin hervor. Im Wahlkampf präsentierte Jetten D66 unter dem Motto „Het kan wél“ („Es geht doch“) – mit einem optimistischen Kurs gegenüber den populistischen Gegensätzen in der niederländischen Politik. Das hat sich ausgezahlt. Der Abstand zur nun zweitgrößten PVV beträgt 29.668 Stimmen, fast einen halben Sitz. Damit kommen sowohl D66 als auch die PVV zwar jeweils auf 26 Sitze (gegenüber 9 beziehungsweise 37 Sitzen 2023), aber D66 hat als erstplatzierte Partei das Initiativrecht bei der Regierungsbildung. Die VVD erreichte 22 Sitze (24 im Jahr 2023), gefolgt von GL-PvdA mit 20 Sitzen (25 im Jahr 2023) und dem CDA mit 18 Sitzen (5 im Jahr 2023). JA21 wuchs von 1 auf 9 Sitze, während Forum voor Democratie (FvD) von 3 auf 7 Sitze zulegte. Die BoerBurgerBeweging (BBB) verlor deutlich und kam auf 4 Sitze (7 im Jahr 2023), und der Nieuw Sociaal Contract (NSC), der 2023 mit 20 Sitzen noch als Newcomer für Aufsehen sorgte, fiel auf null Sitze zurück. Obwohl die PVV Stimmen verlor, bedeutet dies nicht, dass der „rechte Block“ schwächer geworden ist: PVV, JA21 und FvD kommen zusammen auf 42 Sitze, gegenüber 41 im Jahr 2023.

Regierungsbildung und Ausblick

Unmittelbar nach der Wahl ernannte die Zweite Kammer auf Initiative von Jetten den ehemaligen D66-Minister und heutigen Präsidenten der Niederländischen Bahn Wouter Koolmees zum Verkenner (Sondierer), um zu prüfen, welche Koalitionen möglich sind. Die auf den ersten Blick logischste Option scheint derzeit eine Zusammenarbeit „über die Mitte hinweg“ von D66, GroenLinks-PvdA, CDA und VVD zu sein – zusammen 86 Sitze, deutlich über der erforderlichen Mehrheit von 76. Doch VVD-Parteichefin Yeşilgöz sagt weiterhin „Nein“ zu einer Koalition mit GroenLinks-PvdA und zeigt sich offen für eine Koalition mit JA21, womit sie die bevorzugte Kombination von Wahlgewinner Jetten blockiert. Am 11. November legte Koolmees seinen Bericht vor: D66 und CDA sollen sich gemeinsam an einen Tisch setzen, um innerhalb von drei Wochen eine „positive Agenda“ zu erarbeiten und so die festgefahrene Regierungsbildung in Gang zu bringen. Sie sollen sich zunächst über fünf große Themen einigen: Migration, Wohnen, Sicherheit/Verteidigung, Stickstoff und die Wirtschaft bzw. das Investitionsklima für Unternehmen. Anschließend können andere Parteien prüfen, ob sie Anknüpfungspunkte für eine Zusammenarbeit sehen. Die VVD, die mit 22 Sitzen vier Sitze mehr hat als der CDA, sitzt vorerst nicht mit am Verhandlungstisch.

Nach der Sondierungsphase folgt die Ernennung eines Informateurs, der ermittelt, welche Parteien eine neue Regierung bilden können. Außerdem verhandelt er mit den zukünftigen Koalitionspartnern über die Inhalte der Politik und erarbeitet das Koalitionsabkommen. Diesmal wurden mit Hans Wijers (D66) und Sybrand Buma (CDA) zunächst sogar gleich zwei Informateurs ernannt. Wijers geriet jedoch sofort unter Beschuss, weil er sich angeblich negativ über die Spitzenkandidatin der VVD, Yesilgöz, geäußert hatte. Einen Tag nach seiner Ernennung trat er zurück. Die Regierungsbildung wird nun von Sybrand Buma als einzigem Informateur fortgesetzt. Danach wird ein Formateur bestimmt werden – in der Regel der designierte Ministerpräsident –, der die Ministerposten verteilt, das neue Kabinett zusammenstellt und es dem König zur Vereidigung vorstellt.

Die Dauer einer niederländischen Regierungsbildung kann stark variieren. Die schnellste Regierungsbildung nach einer Wahl war die des Kabinetts Drees I im Jahr 1948, die nur 31 Tage dauerte. Die längste war die des Kabinetts Rutte IV im Jahr 2021, die 299 Tage in Anspruch nahm. Im Durchschnitt dauert die Bildung eines Kabinetts seit 1945 etwa 103 Tage. 

Sobald ein Koalitionsvertrag vorliegt, wird der Grenspost Düsseldorf erneut ein Webinar organisieren.